Planung schadet

– Ein Beitrag von Oliver Bergreen –

Planung schadet? Das ist eine steile These, mag man zunächst denken. Von Albert Einstein soll der folgende Satz stammen: „Planung ersetzt den Zufall durch den Irrtum.“ Könnte das in die gleiche Richtung gehen…? Es lohnt, sich das Thema einmal genauer anzuschauen:  

 

Eine Planung bezieht sich immer auf eine zukünftige Situation. Wir gehen von zukünftigen Gegebenheiten aus und setzen darauf unsere Planung auf, um besser vorbereitet zu sein. Was könnte daran falsch sein? Erstmal nichts – solange wir die Zukunft tatsächlich im Voraus erahnen können.

 

In der Regel leiten wir zukünftige Entwicklungen aus unseren Kenntnissen über Vergangenes ab. Deswegen ist es übrigens auch wichtig, über das, was war, zu reflektieren, um zu lernen für das, was noch kommt. Aber genau das könnte problematisch sein, wenn es am Ende doch anders kommt, als man denkt. Das ist nicht so trivial, wie es zunächst klingt, denn wenn wir Pläne machen, investieren wir in der Regel viel Zeit und Geld in diese Pläne. Das kann dazu führen, dass man an Plänen festhält, obwohl sie sich längst als untauglich oder unpassend herausgestellt haben, und zwar umso mehr, je höher der Aufwand war, sie zu erstellen. Im Extremfall kann das sogar dazu führen, dass wir unsere Wahrnehmung von der Realität den Plänen „anpassen“, anstatt uns unvoreingenommen den Dingen zu stellen, wie sie tatsächlich sind. Und genau an der Stelle kann man dann davon sprechen, dass Pläne sogar mehr schaden können, als sie zunutze sind, weil man geneigt ist, sich in seinen Wünschen und Hoffnungen zu verrennen.  

Aber warum ist das so?

 

Unsere komplexe Wirklichkeit

Weil unsere Gegenwart so sehr wie fast noch nie in der Menschheitsgeschichte geprägt ist von Überraschungen. Natürlich war es schon immer so, dass Pläne nicht hundertprozentig genau aufgegangen sind, natürlich musste man diese immer schon an die genauen Gegebenheiten anpassen. In der Regel ging es dabei jedoch nur um Nuancen, und nicht um deren Substanz. Wer aber zum Beispiel Anfang 2020 mit einem eigentlich erfolgreichen Konzept eine innovative und erfolgreiche Gastwirtschaft eröffnet hatte, war vielleicht am Ende des Jahres schon insolvent, weil die Corona-Maßnahmen die durchaus realistisch abgeschätzten Gästezahlen durchkreuzt haben. Das war beim besten Willen nicht vorhersehbar – für niemanden. 

 

Ein Einzelfall?
Keineswegs: Geopolitik („Nordstream“-Sprengung, Kriege etc.), disruptive Technologiesprünge (z.B. Künstliche Intelligenz), durch Globalisierung immer enger werdende Märkte – welches Unternehmen kann heute wirklich noch die Lage in einem Jahr absehen? Gab es früher noch Unternehmens-Software, die isoliert für sich (ohne Intra- oder Internet) über Jahre unverändert nutzbar war, ist dies heutzutage aufgrund der hohen Integration in andere Softwareanwendungen völlig anders – man muss ständig anpassen, verbessern und weiterentwickeln. Und niemand hätte zu Beginn der Programmierung sagen können, welche Richtung die Entwicklung nehmen würde (Stichwort: „Scrum“ Softwareentwicklungsprozess). 

 

Wichtig dabei:
Es geht hier um äußere Faktoren, die sich von einem Unternehmen nicht beeinflussen lassen, denen es aber trotzdem mit voller Wucht ausgeliefert ist. 

 

In der Systemtheorie sprechen wir von „hoher Dynamik“ oder komplexen Systemen, was nichts anderes bedeutet, als dass es eine hohe Überraschungswahrscheinlichkeit und damit eine schlechte Planbarkeit gibt. Komplexität kann mit einem Mehr an Wissen, an Erkenntnis oder an Plänen nicht begegnet werden. Wenn wir uns in komplexen Gegebenheiten vormachen, die Zukunft sei weiterhin vorhersehbar und planbar, sind wir zum Scheitern verurteilt: Wir halten viel zu lang an unseren untauglichen Plänen fest, wehren uns gegen das Offensichtliche und beschweren uns dann über unsichere Zeiten und dass „das ja keiner wissen konnte…“. 

 

„Planen“ neu gedacht 

Heißt das nun, dass wir gar keine Pläne mehr machen können oder sollten? Nein, natürlich nicht – auch wenn der Titel dieses Beitrages das vermuten ließe. Wie in anderen Bereichen auch lohnt sich aber ein genauer Blick, welche Bereiche des Unternehmens noch planbar sind und welche nicht. Über die planbaren Bereiche muss man nicht mehr schreiben – das ist wohlbekannt.

 

  • Wie aber gehen wir mit dem Nichtplanbaren um? 
  • Müssen wir uns darauf einstellen, dass wir den Überraschungen hilflos ausgeliefert sind?

Nicht ganz, denn tatsächlich sind wir Menschen mit Werkzeugen ausgestattet, die uns helfen, mit Komplexität umzugehen:

Kreativität, Intuition, Bauchgefühl, Spontaneität, Intelligenz, Verantwortung 

– eher weiche und unklare Begriffe, die sich nicht messen lassen, aber genau hier weiterhelfen. Das Entscheidende ist, sich so aufzustellen, dass man hochflexibel reagieren kann auf Dinge, die man nicht planen kann und daher überraschend sind.

 

„Querköpfe“ fördern

 

Dazu benötigt man Unternehmensstrukturen, die genau dies zulassen und nicht verhindern. In solchen Situationen zum Beispiel zu beharren auf Zuständigkeiten, die sich aus einem jahrealten Organigramm ergeben, führt mit ziemlicher Sicherheit zum Scheitern. Bei Überraschungen helfen keine etablierten Verfahren, sondern Menschen – Mitarbeiter, die in Überraschungsmomenten Ideen haben, was man jetzt tun müsste und vor allem auch wie. Man bezeichnet sie als „Talente“ – diese müssen jetzt gehört und gefördert werden. In traditionellen Unternehmen werden diese leider oft als Querköpfe wahrgenommen, die sich nicht an Prozesse und Zuständigkeiten halten und die deswegen, zumindest unterschwellig, bekämpft werden, bis sie nur noch Dienst nach Vorschrift machen oder das Unternehmen verlassen. Damit beraubt sich ein Unternehmen selbst der Fähigkeit, mit Überraschungen umzugehen, also mit dem, was immer häufiger vorkommt. 

 

Prinzipien statt Regeln

Die Mitarbeiter, die in komplexen Situationen helfen können, arbeiten nämlich mehr mit „Unternehmensprinzipen“ als mit „Regeln“. Regeln sind starr – Prinzipien aber sind flexibel und daher an dynamische Verhältnisse anpassbar, universell und in diesem Sinne „Komplexitäts-tauglich“. Wer also in einem Unternehmen viele Regeln aufstellt, ist in diesen Zeiten wohl eher nicht so gut beraten, denn wer in der Kategorie von „Regeln“ denkt, hält die Welt noch für steuerbar. Der Gegenentwurf ist Führung, die im Vorleben von „Prinzipien“ besteht.

 

Ohne Planung also – um auf die Eingangsthese zurückzukommen – geht es sicherlich nicht, zumindest nicht in trivialen Kontexten. Sich hier nur auf seine Talente zu verlassen, ist aber ineffizient und nicht skalierbar. Um den allerdings immer häufiger auftretenden Überraschungen zu begegnen, hilft es nicht, noch mehr Zeit in immer aufwändigere Planungen zu investieren, sondern bewusst nicht zu planen und sich vielmehr mit dem Unternehmen auf Überraschungen einzustellen:

 

Seine Mitarbeiter-Talente zu fördern und zu nutzen, flexibel zu sein, und weniger Regeln aufzustellen.

 

Der Zukunft zu begegnen, indem man neue Dinge austestet und bewusst nicht als „Plan“ kommuniziert, sondern als etwas, was auch scheitern darf. Damit schafft man einen „Denkraum“, der die Mitarbeiter einschließt – im Gegensatz zu Top-Down-Strategien.

 

Und: Die Hoffnung begraben, dass die Welt steuerbar ist, sofern sie es denn überhaupt je war.

 

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